Wenn Terroristen und Bedrohte gemeinsam weinen könnten ….
In diesen Tagen suchen Menschen verständlicherweise nach Erklärungen und Begründungen angesichts von Terror und Gräuel-Taten. Auch für die Betrachtung eigenen Lebens unter dem Aspekt von Fehlverhalten und Schuld ist die Suche nach Erklärungen von Bedeutung. Angeblich plausible Antworten können entlasten und manchmal belasten sie andere. Es kann das probate Mittel der ‚Verschiebung‘ sein, einer der verschiedenen Abwehrmechanismen gegen Unerträglichkeiten.
So höre ich in diesen Tagen die ‚fromme‘ Bemerkung, dass die gegenwärtig sich häufenden Schrecklichkeiten als ‚Rache Gottes‘ zu sehen sind. Zunächst scheint das eine Möglichkeit zu sein, den Verursacher zu ‚belasten‘, um die eigene Last ertragen zu können.
Bei näherem Hinsehen wird hier allerdings eine fatale Sicht offenbart, die die Beziehung zu ‚Gott‘ kennzeichnet. An handelnden Menschen ‚rächt‘ sich Gott, wenn ihr Handeln nicht Seiner Intention entspricht? So denken nicht souveräne, in die Freiheit des Handelns gerufene Menschen – so denken abhängige Kinder, die unter dem drohend ‚gehobenen Zeigefinger‘ übermächtiger Eltern stehen. Das ist unerträgliches religiöses Klima, das so unendlich viel Dürre und Tödliches in Leben bringt.
Jesus selbst war dieser Lebensfeindlichkeit in tiefstem Sinne ausgesetzt und hat für sein Leben entdeckt, was denn die Beziehung zu ‚Gott‘ wirklich ausmacht. Sie ist eben nicht darauf ausgerichtet, ängstlich darauf zu achten, dass Gott bloß nicht zornig strafend in das Leben tritt. Sie hat eine ganz andere Tendenz, nämlich diese: Dieser ‚Gott‘ ist geradezu ‚vernarrt‘ in seine Menschen. Er liebt sie in einer nicht beschreibbaren Weise. Es ist diese Sehnsucht, die ihn treibt und unsere Nähe sucht. Und es ist umgekehrt diese Sehnsucht, die Menschen treibt und Seine Nähe sucht. Eine wahrhaftig gegenseitig bestimmte ‚Sehnsuchts-Bedingung‘.
Nein, angesichts von im Verborgenen wirkender destruktiver Reaktion auf die ‚drohende‘ Revanche reagiert dieser Gott eben nicht mit ‚Rache‘, sondern er leidet. Er leidet wie einer, der seine Sehnsucht nach Nähe nicht erfüllt weiß. Nein, dieser ‚Gott‘ ‚rächt‘ sich nicht – er ‚weint‘ angesichts der Verirrungen und Verwirrungen seiner Geschöpfe. Es gibt eine hier erhellende Episode aus dem Leben Jesu:
Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie
und sprach: aWenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen.
Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen
und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und akeinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist.
Lukas 19, 41-44
Es ist das ‚Weinen‘ angesichts des Unabänderlichen! Dieses ‚Weinen Gottes‘ ist in uns. Es ist in jedem einzelnen mordender IS-Milizen; es ist in jedem einzelnen Politiker, der entscheiden muss; es ist in jedem Ängstlichen angesichts wachsender Bedrohung! Unser Weinen ist auch das ‚Weinen‘ Gottes.
Tränen machen Wesentliches klar
Viele kennen das Befreiende fließender Tränen. Wesentliches wird erkennbar. Eine tiefe Bedürftigkeit schafft sich Raum. Es entsteht eine Solidarität der ‚Weinenden‘. Es ist ein Miteinander in Augenhöhe! Wenn Terroristen und Verängstigte, Täter und Opfer gemeinsam ‚weinen‘ könnten …
Beim Gottesdienst mit geschätzten sechs Millionen Menschen in Manila beschrieb ein Kind unter Tränen, die Gewalt und die Angst, unter denen es leben muss. Sie konnte nicht weitersprechen … Papst Franziskus nahm das Kind tröstend in die Arme und sagte zu den Versammelten sinngemäß: ‚Wir müssen lernen zu weinen ….‘. ‚Mitgefühl und Gnade‘ – die Botschaft des Papstes – können nur unter solcher ‚Augen- und Herzens-Ebene‘ gedeihen.
18. Januar 2015
So gestaltet sich Beziehung zu ‚Gott‘. Sich diesem ‚Kraft-Strom‘ aussetzen, schafft verantwortliches Handeln. Im Weinen gestaltet sich Antwort. Autonomie in heilender Bindung! Da gibt es keinen Gesichtsverlust, der in die Enge treibt und um sich schlagen lässt.
Angesichts eines mörderischen Anschlags mit tödlichem Ausgang formulierte ein Mitbetroffener so:
Unsere Verletzbarkeit ist Gottes bevorzugte Tür.
In unsere Verletzungen tritt Gott liebend ein.
Unsere Hilflosigkeit kann sich unter einer solchen Solidarität in hoffnungsvolles Gestalten verwandeln. Es entstehen Fantasie und Ideen und nicht Vorstellbares wird vorstellbar. Es gilt unverbrüchlich: Was du dir vorstellen kannst, das ist auch machbar!