EMPATHIE ENTSCHÄRFT GEFAHRENSITUATIONEN
Empathie* macht es möglich, dass wir unsere Welt mit neuen Augen sehen und weiterkommen können.
Weil unsere tiefsten Gefühle und Bedürfnisse angesprochen werden, empfinden wir es manchmal als große Herausforderung, uns gewaltfrei auszudrücken. Der Selbstausdruck fällt uns jedoch leichter, wenn wir anderen Empathie gegeben hätten, weil wir dann mit ihrer Menschlichkeit in Berührung kommen und erleben, dass es menschliche Eigenschaften gibt, die wir gemeinsam haben.
Je mehr wir uns mit den Gefühlen und Bedürfnissen hinter ihren Worten verbinden, desto weniger Angst macht, sich anderen Menschen zu öffnen. Die Situationen, in denen wir uns am stärksten dagegen wehren, verletzlich zu sein, sind meist geprägt davon, dass wir ein ,starkes Image‘ bewahren wollen aus Angst vor Autoritäts- oder Kontrollverlust. (…)
Wenn ich jedoch das Gedankenmuster habe, dass ich gedemütigt und ausgenutzt werde, dann bin ich vielleicht zu verletzt, zu ärgerlich oder zu ängstlich, um in einen empathischen Kontakt treten zu können. In so einem Augenblick muss ich mich zurückziehen, um mir selbst Empathie zu geben oder sie von einer verlässlichen Quelle zu erbitten.
Wenn ich die Bedürfnisse entdeckt habe, die so stark in mir angesprochen wurden, und dafür genügend Einfühlung bekommen habe, dann bin ich bereit zurückzukehren und auf meine Gesprächspartner empathisch einzugehen. In schmerzlichen Situationen rate ich ihnen, sich zuerst selbst mit der notwendigen Einfühlsamkeit zu versorgen, die man braucht, um über die Gedankenmuster hinauszugehen und die tieferen Bedürfnisse zu erkennen.
So ist in ‚Gewaltfreie Kommunikation – eine Sprache des Lebens’** zu lesen. Ein guter Text mit Blick auf zu beobachtendes Verhalten namhafter Politiker und Politikerinnen zum Beispiel angesichts der ‚Krim-Krise‘. Niemand will eine kriegerische Auseinandersetzung und gleichzeitig wird auf nicht akzeptables Handeln mit Sanktionen reagiert. Aus wichtigen Gremien wird ausgeschlossen und gleichzeitig wird fast verwundert festgestellt, dass solche Reaktionen kaum greifen und nicht zu gewünschter Rücknahme von Entscheidungen führen.
Es entsteht ein Klima von Verdächtigungen und Kränkungen und die gedachten und manchmal unverantwortlich ausgesprochenen ‚Gedankenmuster‘ schaffen begründete Angst vor (Über)Reaktionen.
Das derzeitige politische ‚Szenario‘ ist allzu vertraut. Wir kennen so etwas sehr genau aus Konfliktsituationen in vielerlei Gestalt. In solcher Vertrautheit liegt eine große Gefahr. Es gibt ‚Stammtisch‘-Äußerungen, die darauf schließen lassen, dass es im Denken vieler Menschen auf ‚Stress-Situationen‘ wiederholt praktizierte Reaktionen gibt, die darauf abzielen, mit Gewalt zu Lösungen zu kommen.
Allerdings gibt es in der derzeitigen Krise bemerkenswerte Reaktionen, die wenigstens ansatzweise einen Weg in oben beschriebenen Sinne andeuten. Ein solcher Ansatz deutet sich immer da an, wo derzeitig unakzeptables Verhalten in einen größeren Zusammenhang gestellt wird. Da wird zum Beispiel von ‚Versäumnissen‘ in vergangener Zeit gesprochen. Da wird zum Beispiel gesagt, dass es zu wenig gegenseitige Wertschätzung gegeben hat. Da wird indirekt angemahnt, doch einmal den eigenen Weg in der Vergangenheit zu betrachten und möglicherweise zu entdecken, wie wenig Respekt es ‚der anderen Seite‘ gegenüber gegeben hat.
‚Als Therapeut weiß ich, wie schwierig es ist, einen Narzisten zu behandeln …will natürlich auch geliebt sein und er wird zu spüren bekommen, dass das Geliebtwerden durch Stärke, durch machohaftes Gehabe seine Grenzen hat. In der Tiefe wird auch er andere Wünsche haben. Und wenn eine Politikerin mit therapeutischen Kompetenzen mit ihm darüber ins Gespräch käme und so viel Vertrauen entstünde, dass er auch mal seine Ängste, seine Nöte offenbaren könnte, dann wäre das Spiel gewonnen‘.
Entnommen aus DIE ZEIT, 24.4.2014 ‚Wir sind allesamt gestört‘ Hans-Joachim Maaz, Psychiater u. Psychoananlytiker.
Das ist die erforderliche Nachdenklichkeit, die eine ganz andere Gesprächskultur ermöglicht. Wenn von notwendigen ‚diplomatischen Schritten‘ die Rede ist, um einer Eskalation zu begegnen, dann muss ein sensibles und empathisches Hinhören und Sprechen der Weg sein.
* Empathie: Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellung anderer
Menschen einzufühlen.
** Gewaltfreie Kommunikation – eine Sprache des Lebens
Marshall B. / Rosenberg / ISBN 3-87387-454-7
Fronten aus vertrautem Denken ‚aufbrechen‘
und dem respektvollen Umgang Raum geben …
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Beim Lesen dieses Textes mögen manche denken, warum in dieser Betrachtung keine Namen auftauchen. Ich habe darauf verzichtet, um eine größere Weite im Mitdenken und Mitfühlen in den derzeitig uns alle bewegenden weltpolitischen Ereignissen zu erzielen. So kann sich eine Form von ‚Mitverantwortung‘ entwickeln, die darauf verzichtet, den eigenen Finger anklagend auf andere zu richten und eigene ähnliche Verhaltens-Tendenzen in ‚Stress-Situationen zu verleugnen.